Essays
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Seid realistisch, fordert das Unmögliche! Wir spielen Fußball
Als ich gefragt wurde, ob ich bei einem Theaterprojekt zum Thema „1968“ mitmachen wolle, war ich zuerst einmal skeptisch. Meine bunte Strickweste vermodert im Vorzimmerkasten, mit dem Peace-T-Shirt hatte ich schon vor langem Küchenschränke trocken gewischt. Mein aktives politisches Aufbegehren hatte mit 18, 19 Jahren desillusioniert geendet. Die Umweltgruppe, bei der ich mich engagierte, hatte innerhalb zweier Jahre von basisdemokratischen Diskussionen zur Gesprächsleitung via eines kostenpflichtigen Mentors umgestellt. Bei der Ausländerproblematik wurde mir von beiden Seiten mit allzu vielen Schwarz-Weiß-Bildern gearbeitet. Auch ich hatte Janis Joplin und John Lennon gehört, aber Woodstock unterschied sich für mich kaum von heutigen Musikfestivals, bei denen man sich genauso im Schlamm wälzen kann, zugedröhnt von Drogen und Alkohol. Der aktionistische Künstler Hermann Nitsch sitzt in seinem Museum, wenn er nicht gerade seine ehemals radikalen Ideen im Burgtheater unter Applaus des Bundeskanzlers verwirklicht. Das konnte mir alles gestohlen bleiben. Das hatte mit meiner Welt nichts mehr zu tun.
prostory.net 2008
Texte auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch
WAS DIE HORMONE TIPPEN
Können Sie sich vorstellen, mit Reich-Ranicki Sex zu haben, um rezensiert zu werden? Über „Fräuleinwunder“, „Literaturschlampen“ und „Tussenstorys“ oder: Was bitte ist „Frauenliteratur“?
(…)
Männer beschäftigen sich mit Daniel Kehlmann, Heinrich von Kleist und James Joyce. Kennen Sie einen dummen lesenden Mann? Sie nicken? Den dummen lesenden Mann gibt es aber nicht, kann ich Ihnen als lesende Frau versichern, die unter ihrem Bett die Bücher versteckt, bei deren Entdeckung mir ein lebenslängliches Redeverbot erteilt werden würde. Wenn ein Mann von sich behauptet, Schund zu lesen, nimmt er genießerisch Perry Rhodan oder seine alten Karl-May-Bände aus dem Regal. Superman-Comics sind Kult und haarsträubende Science-Fiction-Geschichten zeugen von reicher Fantasie. Würden aber Frauen nicht so einen Schund lesen, bräuchten anderen Frauen wie Frau Lind nicht so einen Schund zu schreiben, um reich zu werden.
Spectrum, Die Presse, 7. Juli 2007