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Eine Löwin wälzt sich auf der Erde, dahinter ein Felsen

WIDER DAS KLISCHEE
 
In letzter Zeit habe ich immer öfters das Gefühl, die anderen wissen schon alles, bevor sie überhaupt ein Gespräch beginnen. Ja, manchmal kommt es mir so vor, als sei das die Voraussetzung, um sich überhaupt auf ein Gespräch einlassen zu können: den Hintergrund des Gegenübers zu kennen, seine Weltsicht, seine Lebenserfahrung. Wie es ist, 16 oder 80 Jahre alt zu sein, in L.A. oder Mumbai zu essen, als Supermarktkassiererin zu arbeiten, wie sich der erste Kuss anfühlt, wie man ein Kind erzieht, dass Wähler*innen der FPÖ oder AfD zu wahrer Empathie nicht fähig sind … Im Gegensatz zu uns. Wir schauen uns echte Flüchtlinge auf der Bühne an und leiden mit ihnen mit.
ESSAY zum Thema LITERATUR UND EINFÜHLUNG 
(eingeladen von Daniel Wisser im Rahmen von StreitBar, Alte Schmiede Wien 2019)

Seid realistisch, fordert das Unmögliche! Wir spielen Fußball

 

Als ich gefragt wurde, ob ich bei einem Theaterprojekt zum Thema „1968“ mitmachen wolle, war ich zuerst einmal skeptisch. Meine bunte Strickweste vermodert im Vorzimmerkasten, mit dem Peace-T-Shirt hatte ich schon vor langem Küchenschränke trocken gewischt. Mein aktives politisches Aufbegehren hatte mit 18, 19 Jahren desillusioniert geendet. Die Umweltgruppe, bei der ich mich engagierte, hatte innerhalb zweier Jahre von basisdemokratischen Diskussionen zur Gesprächsleitung via eines kostenpflichtigen Mentors umgestellt. Bei der Ausländerproblematik wurde mir von beiden Seiten mit allzu vielen Schwarz-Weiß-Bildern gearbeitet. Auch ich hatte Janis Joplin und John Lennon gehört, aber Woodstock unterschied sich für mich kaum von heutigen Musikfestivals, bei denen man sich genauso im Schlamm wälzen kann, zugedröhnt von Drogen und Alkohol. Der aktionistische Künstler Hermann Nitsch sitzt in seinem Museum, wenn er nicht gerade seine ehemals radikalen Ideen im Burgtheater unter Applaus des Bundeskanzlers verwirklicht. Das konnte mir alles gestohlen bleiben. Das hatte mit meiner Welt nichts mehr zu tun.

prostory.net 2008

Texte auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch

 

 

WAS DIE HORMONE TIPPEN

 

Können Sie sich vorstellen, mit Reich-Ranicki Sex zu haben, um rezensiert zu werden? Über „Fräuleinwunder“, „Literaturschlampen“ und „Tussenstorys“ oder: Was bitte ist „Frauenliteratur“?

(…)

Männer beschäftigen sich mit Daniel Kehlmann, Heinrich von Kleist und James Joyce. Kennen Sie einen dummen lesenden Mann? Sie nicken? Den dummen lesenden Mann gibt es aber nicht, kann ich Ihnen als lesende Frau versichern, die unter ihrem Bett die Bücher versteckt, bei deren Entdeckung mir ein lebenslängliches Redeverbot erteilt werden würde. Wenn ein Mann von sich behauptet, Schund zu lesen, nimmt er genießerisch Perry Rhodan oder seine alten Karl-May-Bände aus dem Regal. Superman-Comics sind Kult und haarsträubende Science-Fiction-Geschichten zeugen von reicher Fantasie. Würden aber Frauen nicht so einen Schund lesen, bräuchten anderen Frauen wie Frau Lind nicht so einen Schund zu schreiben, um reich zu werden.

Spectrum, Die Presse, 7. Juli 2007